Archäologie Teil 1

Heimatkunde
AULENDORF
22. November 1991                                                                                                                                                                                 Beilage zu „aulendorf aktuell“

Wann, wo und wie wurden in der Jungsteinzeit aus nomadisierenden Wildbeutern seßhafte Ackerbauern und Viehzüchter?

Konrad Dietmann

Während einiger Jahrhunderttausende war der Mensch Jäger und Sammler, mußte er täglich seine Nahrung erbeuten und suchen. Dann, etwa 5000 Jahre vor unserer Zeitrechnung, trat in unseren Breiten mehr und mehr an die Stelle des Wildbeuters der Ackerbauer und Viehzüchter, wurde die urzeitliche Jägerkultur von der Bauernkultur verdrängt – ein Vorgang, der, wenn überhaupt, nur noch mit dem Entstehen des Stadtbürgertums und später mit dem Beginn des Industriezeitalters verglichen werden kann.
Die Urgeschichtswissenschaftler sprechen daher mit Recht von der „neolithischen Revolution“. Sie verwenden diese einschneidende Veränderung, um zwischen der Alt-lMittelsteinzeit (Paläo-/Mesolithikum) und der Jungsteinzeit (Neolithikum) zu unterscheiden. Zwar blieb neben Holz und Tierknochen der Stein das wichtigste Material zur Werkzeug- und Waffenherstellung, aber die Arbeitsgeräte er- reichten ihre höchste Ausformung und Perfektion, die mit diesem Naturstoff möglich waren. Wurden Werk- und Jagdutensilien bis dahin überwiegend durch Ab- und Behauen des Feuersteins fabriziert, lernten jetzt die Menschen auch das Felsgestein durch Sägen und Schleifen zu bearbeiten. Der Steinbohrer wurde erfunden. Die Not macht bekanntlich erfinderisch. Vielleicht hat die Notwendigkeit der Vorratshaltung bis zur nächsten Ernte zur Töpferei geführt. In der Jungsteinzeit kamen die gebrannten Tongefäße auf. Neue Erfordernisse zwangen die Menschen zum Experimentieren. Die daraus gewonnenen Erfahrung führten zu neuen Techniken. Während der langen Zeit des Wildbeutertums waren die Jagdtiere Hauptrohstofflieferanten für die Kleiderherstellung und den Bau der Behausungen. Jetzt mußte durch den Rückgang der Jagd und bei gleichzeitigem Anwachsen der Bevölkerung Ersatz für die Felle gesucht werden. Das Weben wurde erfunden und die Holzbauweise für die Häuser vorangetrieben. Das erste war erst möglich, nachdem Wildschafe domestiziert worden waren und Flachs angebaut wurde. Das zweite wurde durch die verbesserten Steinwerkzeuge erleichtert. So bedingte eine Erfindung die andere und jede neue Entdeckung und Technik beschleunigte den Übergang zur bäuerlichen Lebensweise.
Da die Menschen ihre Nahrung nun selber erzeugten, wurde ihr Denken stärker als zuvor auf den Ablauf der Jahreszeiten, auf die Beobachtung der Gestirne und das Beachten des Wetters gelenkt. Es entstanden Fruchtbarkeitsreligionen, deren Gottheiten oft als mütterliche Frauen dargestellt wurden. Manche Forscher vermuten im biblischen Bild von der Vertreibung aus dem Paradies und im sumerischen Gilgamesch-Epos verschlüsselte Erinnerungen an den bedeutsamen Übergang vom Jäger zum Tierzüchter, vom Sammler zum Pflanzer, vom Nomaden zum Seßhaften.
Natürlich sind dies Mutmaßungen. Keine Spekulation ist die Aussage darüber, wo der Entwicklungsschritt mit weltgeschichtlichem Zuschnitt zuerst vollzogen wurde, nämlich in jenem Teil des Vorderen Orients, den die Geographen als „Fruchtbarer Halbmond“ bezeichnen. Es ist der sicheIförmige Streifen gutbewässerten Lan- des, das sich am Mittelmeer zum Oberlauf des Tigris hinzieht und von dort entlang der türkisch-iranischen Gebirgsketten nach Südosten bis fast zum Persischen Golf. Daß dort der umwälzende Wandel von der rein „an-eignenden“ Nahrungsversorgung der Jäger und Sammler zur „produzierenden“ der Ackerbauern und Viehzüchter vollzogen wurde, liegt nicht daran, daß die Bewohner des „Fruchtbaren Halbmondes“ sich durch besondere geistige Fähigkeiten gegenüber denen anderer Landstriche unterschieden. Es war die Verkettung glücklicher Umweltbedingungen, die zu der neuen Lebensweise führten. In diesem Gebiet überschnitten sich die Verbreitungsgebiete der Stamm arten von Emmer und Einkorn (zwei Weizenarten), von Gerste, Linse und Erbse. Dort waren auch die wildlebenden Schafe und Ziegen zu Hause.
Nun wird vernünftigerweise niemand in Abrede stellen, daß Kultivation und Demestikation dort zuerst stattfanden, wo die Menschen über die Wildformen verfügen konnten. Bis es allerdings soweit war, sind sicher hunderte, vielleicht tausende Jahre ins Land gegangen. Der lange Weg von der Wildbeuterstufe zur Bauernkultur führte über viele Zwischenstufen, die auch die Wissenschaftler noch lange nicht alle kennen.‘ Dabei war die Kenntnis einer irgendwie gearteten Vorratswirtschaft nicht notwendige Folge des Pflanzen anbaus , sondern dessen unumgängliche Voraussetzung. Eine mögliche Entwicklungsreihe , mit wenigen groben Strichen skizziert, könnte sich so abgewickelt haben:
Die Familien und Sippen versorgten sich mit Nahrung durch Jagd und das Einsammeln des Wildgetreides und -gemüses, von Vogeleiern, Beeren und Früchten.
Sie lernten, das Getreide nicht nur für die Zeit der Ernte zu nutzen, sondern  es auch für längere Zeit auf Vorrat zu halten.
Vorratslager führten notwendigerweise zu einer Einschränkung des Umherschweifens, denn die gespeicherte
Frucht konnte nicht für eine längere Zeit unbeaufsichtigt bleiben. Anfänge der seßhaften Lebensweise deuteten sich also an.
Sie beobachteten beim gelagerten Korn; daß dieses wieder auskeimen kann. Der nächste Schritt zur bewußten Aussaat war vermutlich nicht mehr allzu groß.
Während sie den Bedarf an pflanzlicher Nahrung durch eigenen Anbau zu decken gelernt hatten, versorgten sie sich mit tierischem Eiweiß weiterhin  durch die Jagd. Aber Aussaat und Ernte zwangen sie mehr und mehr seßhaft zu werden.
Die Aufgabe des Nomadenlebens war  die Voraussetzung für das Domestizieren wildlebender Tiere, mit dem schließlich der Übergang zu der neuen Lebensweise seine Abschluß fand. Zwischen 8000 bis 7000 v. Chr. mag
dies gewesen sein. Im Gebiet des „Fruchtbaren Halbmondes“ begann die Jungsteinzeit.

Keramik-Service der früheren Ackerbauern in Mitteleuropa mit der charakteristischen Verzie- rung durch einfache Bandmuster aus drei parallelen Linien und wenigen groben Einstichen (Bandkeramik). Aus dieser ursprünglichen Keramikverzierung durch die ersten bäuerlichen Ko-
lonisten in Europa, entwickelten sich dann einzelne Lokalstile (Aus: H. Muller-Beck, Herausge-
ber: Urgeschichte in Baden-Württemberg, Theiss Verlag).

So oder ähnlich könnte sich zwischen dem 12. und 8. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung das Leben der Menschen geändert haben. Vielleicht ging alles auch anders vor sich, und morgen kann ein neuer Fund schon wieder zur Korrektur liebgewordener Erkenntnisse zwingen und als sicher geltendes Wissen in Frage stellen. Daß Menschen nun im „Fruchtbaren Halbmond“-Gebiet über ausreichend tierisches Eiweiß, unabhängig vom jeweiligen Jagdglück, verfügen konnten, ist für manche Forscher eine Ursache der reichen kulturellen Entwicklung im Orient. Ganz sicher löste die neue Art der Eiweißversorgung ein starkes Anwachsen der Bevölkerung aus. Und weil die Bearbeitung des Bodens doch noch nicht so intensiv erfolgen konnte, waren die Bauern gezwungen, immer wieder neues Siedlungsland zu erschließen. Ein Weg dieser Kolonisation führte durch Anatolien nach Osteuropa. Von dort bildeten die Donauniederungen die wohl wichtigste, wenn auch nicht die einzige Einfallstraße nach Mitteleuropa. Gegen Ende des 6. Jahrtausends v. Chr. waren die Randgebiete Süddeutschlands erreicht. Die Jungsteinzeit nahm bei uns ihren Anfang. Die Bauern besiedelten zunächst die Gebiete mit fruchtbarem Lößboden . Im heutigen Baden-Württemberg waren dies das Donautal, die Gäulandschaften des Mittleren Neckarraumes, der Taubergrund und die klimagünstigen Ebenen des Oberrhein-Grabens. All diesen Siedlern gemeinsam war die Art der Verzierung ihrer Töpfe, die sie mit Linien, gereihten Stichen und Bändern schmückten. Mit „Bandkeramik“ wird daher auch die früheste Kultur der ersten Bauerngesellschaft bei uns bezeichnet. Sie reichte von Westungarn bis Holland, von der Donau und dem Hochrhein bis an den Nordrand der Mittelgebirgsschwelle. Erst nach und nach entstanden aus dieser ursprünglich mehr einheitlichen Kultur einzelne Lokalstile.

Eine jungsteinzeitliche Bäuerin beim Mahlen des Getreides mit Mahlstein und Reiber („Läufer“). Ein solcher Reiber ist auch im Steeger See gefunden worden (Aus: Muller-Beck, Herausgeber: Urgeschichte in Baden-Wurttemberg, Theiss Verlag).

Die Ausbreitung dieser Kulturstufe darf man sich nicht so vorstellen, als haben sich die Bandkeramiker ge- schlossen in „breiter Front“ Gebiet um Gebiet angeeignet. Sie bildeten vielmehr Siedlungsinseln, dort, wo sie geeignetes Land vorfanden. Trafen sie auf Jäger und Sammler, wichen diese entweder in andere Gebiete aus, oder nahmen die neue Lebensweise an und brachten ihr kulturelles Erbe mit ein. Oberschwaben blieb zunächst von der Besiedlung durch die Bandkeramiker ausgeschlossen. Mit seinen Sümpfen, Mooren, Seen und Wäldern schien es ihnen wohl unbewohnbar. Wurde das Land zwischen Bodensee und Donau zum Rückzugsgebiet für die Jäger? Erst ab 4200 v. Chr. drangen die Ackerbauern und Viehzüchter in diesen Landstrich vor. Sie zählten schon nicht mehr zu den ursprünglichen Bandkeramikern. Ihre Häuser errichteten sie mit Vorliebe am Rande von Seen und Mooren. Es begann die Pfahlbautenzeit (etwa 4200 bis 800 v. Chr., also noch weit in die Bronzezeit hinein), die seit ihrer Entdeckung die Phantasie der Menschen beflügelt und Maler und Schriftsteller inspiriert.
Ganz und gar unromantisch geht es bei den Wissenschaftlern zu, die im Rahmen eines Forschungsprogramms die Geschichte der .Feuchtbodenbesiedlung“ aufzuhellen versuchen. In mühseliger, an Akribie grenzende Puzzlearbeit fügen sie ihre Funde zu einem Mosaikbild der versunkenen Pfahlbautenwelt zusammen. Was sie dabei aus dem Schlamm des Steeger Sees bargen, sind ein paar besonders farbige Steinchen dazu.

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