Archäologie Teil 2

Heimatkunde
AULENDORF
22. November 1991                                                                                                                                                                                 Beilage zu „aulendorf aktuell“

Pfahlbauten im Steeger See

Tauchsondagen in einer neuentdeckten
Fundstelle

Joachim Köninger

Formen und Muster der Tongefaße, sowie die Techniken, die beim Verzieren der Keramik angewendet wurden, sind für die Wissenschaftler wichtige Hinweise bei der Zuweisung von Siedlungen zu bestimmten Kulturgruppen und damit eine Hilfe bei der zeitlichen Einordnung von Funden. Die Abbildungen 1-3 zeigen jungsteinzeitliche Gefäße aus dem Steeger See: Abb. 1 Krug der Schussenrieder Kultur, Abb. 2 Ösenleistenflasche der Michelsberger Kultur, Abb. 3 Topf der Pfyn-Altheimer Gruppe Oberschwabens. Die einzelnen Kulturgruppen erhielten ihren Namen nach dem jeweils ersten bedeutendem Fundort.

Chronologie der jungneolithischen und bron- zezeitlichen Kulturen am Bodensee und in Oberschwaben (Aus: SchlichtherleiWahlstar, Archäologie in Seen und Mooren).

Abb. 2 Ösenleistenflasche der Michelsberger Kultur

Abb. 3 Topf der Pfyn-Altheimer Gruppe Oberschwabens.

Die Gemeinde Aulendorf stand schon mehrmals im Mittelpunkt archäologischen Interesses.
Neben einer römischen Villa, etwas oberhalb der älteren Ortsteile von Aulendorf gelegen, sorgte vor allem ein Wagenrad, bekannt als das „Aulendorfer. Wagenrad“, aus den Torfstichen im Schnepfenried für Aufregung
in der Fachwelt. Erst in jüngster Zeit wurden weitere FundsteIlen im Ried um den Steegersee bekannt, deren  Kenntnis dem Nachlaß des 1959 verstorbenen Amateurarchäologen Dr. Heinrich Forschner aus Biberach zu verdanken ist. Unter ihnen sind Hinweise auf Reste von Pfahlbauten vorhanden, auf die der Landwirt Stein- hauser beim Bau der heute noch stehenden windradgetriebenen Wasserpumpe am nordwestlichen Rand des Steegerseemoores in den dreißiger Jahren stieß. Seitdem sind keine FundsteIlen aus den Mooren um Aulendorf mehr bekannt geworden.
Vor allem durch die großen Grabungen des Urgeschichtlichen Forschungsinstituts der Universität Tübingen in den 20er und 30er Jahren im benachbarten Federseeried waren die urgeschichtlichen Moordörfer Oberschwabens ‚ einer breiten Öffentlichkeit bekanntgeworden. Den weniger spektakulär sondierten jungsteinzeitlichen und bronzezeitlichen Siedlungen in den kleineren Mooren und Seen, z. B. am Schreckensee, Olzreuter See und Ilmensee war zumindest in der breiten Öffentlichkeit ein geringerer Bekanntheitsgrad beschieden. Durch die Wiederaufnahme der Pfahlbauforschung in Oberschwaben 1979 durch das Landesdenkm:alamt Baden- Württemberg kam es neben Sondagen und Ausgrabungstätigkeiten im Federseegebiet auch zu kleineren Untersuchungen im nahe‘ bei Aulendorf gelegenen Musbacher Ried und im Schorrenriedbei Reute/Bad ‚Waldsee. Die dort angetroffenen .Hausreste und Siedlungsabfälle bestätigen die Annahme, daß jungsteinzeitliche Siedlungen in teilweise guter Erhaltung auch hier noch zu erwarten sind.
Die besondere Bedeutung der Ufer und Moorsiedlungen besteht in der Erhaltung von organischen Materialien, also organischen Gerätschaften,  hölzernen Hauskonstruktionselementen oder Textilien und Schmuck im Torf oder im Schlamm der Riedseen unter Luftabschluß. Moor- und Ufersiedlungen, die unter dem Begriff Pfahlbauten zusammengefaßt werden können, sind aus diesem Grunde eine urgeschichtliche Quelle von besonderer Bedeutung.
Die überwiegende Anzahl der bislang bekannten Pfahlbauten Oberschwabens entstammt den Mooren, deren
Entstehung durch Verlandungsprozesse der Gletscherseen und Toteislöcher nach der letzten Eiszeit in der Folge des allgemeinen Rückzuges der Gletscher aus dem Alpenvorland zu erklären ist. Wenige FundsteIlen befinden sich dagegen in solchen Moorseen, deren Verlandung durch besondere lokale Umstände bis heute nicht stattgefunden hat. Es handelt sich entweder um besonders tiefe Gewässer, so daß organische Rückstände Landgewinn nur an den flachen Randzonen erlaubte, oder Quellen verhinderten eine Verlandung. Letzteres dürfte für die Existenz des Steeger Sees verantwortlich sein, der mit einer verhältnismäßig geringen Tiefe von max. 5-6 m durch natürliche Ablagerungen schon längst einem Veriandungsprozeß anheimgefallen sein müßte. Die Entdeckung von Pfahlbauresten in diesem dicht am Bachbett der Schussen gelegenen Moorsee war eine gelungene Überraschung. Der Aufmerksamkeit der Stadtbehörde Aulendorf, des Bademeisters, des Hauptamtes und der Bauverwaltung ist es zu verdanken, daß die Entdeckung dieser wichtigen FundsteIle unverzüglich dem Landesdenkmalamt bekannt geworden ist. Die Bedeutung der Fundstücke, die badende Jugendliche des nahegelegenen Zeltlagers in Tiergarten beim Wettauchen ans Tageslicht beförderten, wurde so umgehend erkannt.
Zunächst nahm Dr. H. Schlichtherle von der Arbeitsstelle Hemmenhofen des Landesdenkmalamtes aus die Nachforschungen in die Hand. Durch Badegäste und DLRG-Taucher konnte das verstreute Fundmaterial wieder zusammengebracht werden.
Ein Tauchgang durch Taucher des Landesdenkmalamtes im Sommer 1990 zur Überprüfung der Fundverhältnisse und Situation im Steeger See ließ keine Zweifel daran, daß es sich um eine der wenigen Pfahlbauten Oberschwabens handelt, die sich unter Wasser erhalten haben. Im Winter/ Frühjahr 1990/91 führte dann die Pfahlbauarchäologie Bodensee-Oberschwaben des Landesdenkmalamtes eine erste Tauchsondage im Steeger See durch. Das Ziel dieser Unterwassersondage war es, die Ausdehnung der Siedlung durch Bohrungen zu ergründen, sowie Proben von Pfählen und den vorhandenen Siedlungsablagerungen zu nehmen und sie der wissenschaftlichen Bearbeitung durch Biologen und Dendroarchäologen zu- zuführen, um Aufschlüsse zum Alter der Siedlung sowie zur Zusammensetzung der pflanzlichen Siedlungsablagerungen zu erhalten. Da diese .Kulturschichten“ zu großen Teilen aus den Abfällen der jungsteinzeitlichen Besiedler bestehen, sind durch die Analyse von Sämereien und Pollen wichtige Ergebnisse zu den damaligen Nahrungsgewohnheiten sowie über die natürliche Vegetation in der näheren Umgebung zu erwarten. Eine systematische Vermessung des Seebodens mit Echolot wurde vorgenommen.
Erste Ergebnisse der Auswertung durch das Archäodendrologische Labor in Hemmenhofen liegen schon vor. So konnte nachgewiesen werden, daß eines der jungsteinzeitlichen Dörfer um 3640 v. Chr. errichtet worden ist.
Das Fundmaterial bietet ein unerwartet reichhaltiges Spektrum jungsteinzeitlicher Kulturen, die zumindest an der verschiedenen Ausprägung ihrer Keramik, was die Tonqualität und Formgebung betrifft, definiert sind und daran auch erkannt werden können. Diese Kriterien rühren einfach daher, daß das Fundgut aus der Jung-
steinzeit vom keramischen Fundmaterial dominiert wird.
Überraschend waren zunächst Scherben der sogenannten Stichbandkeramik bzw. Hinkelsteingruppe, die bis-
lang in Oberscbwaben nur durch wenige Scherben aus dem Federseebecken vertreten war und deren Hauptverbreitungsgebiet sich in den sogenannten Altsiedelgebieten mit fruchtbarer Lößbedeckung befindet. Aus diesem Grunde waren Funde dieser vorgeschichtlichen Epoche aus dem älteren Abschnitt der Jungsteinzeit im Jungmoränengebiet Oberschwabens nicht zu erwarten. Sie belegen damit zumindest die vorübergehende Anwesenheit von Siedlern der Hinkelsteingruppe in den weniger fruchtbaren Landschaften des nordalpinen Jungmoränengürtels. Die Datierung der Kulturgruppe durch 14-C Daten um 5000 v. Chr. liegt entschieden vor der ersten gut faßbaren Besiedlung Oberschwabens durch Ackerbau treibende jungsteinzeitliche Kulturen im ausgehenden 5. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung, also etwa um 4200 v. Chr.
Die nächst jüngere im Steeger See erfaßte steinzeitliehe Kulturgruppe, die um 4000 v. Chr. datiert werden kann, ist in Oberschwaben und dem mittleren Neckarland verbreitet. Die früheste Entdeckung von Keramik dieser Kultur, die sich durch Krugformen mit reichem Ritzdekor zu erkennen gibt, wurde in Oberschwaben im südlichen Federseeried gemacht und erhielt ihren Namen vom nahegelegenen Bad Schussenried. Die „Schussenrieder Kultur“ ist in einem reichen Fundmaterial, bestehend aus Geweihgeräten samt Holzschaft, reich verzierter Keramik und einer Reihe von Steinbeilen und Feuersteinwerkzeugen am Steeger See vertreten.
Damit konnte nach den großen Ausgrabungen im südlichen Federseeried durch das Tübinger Forschungsinstitut in den 20er Jahren erstmals wieder ein Fundensemble dieses Zuschnitts im Schichtzusammenhang aufgedeckt werden. Die in der damaligen Zeit mit entsprechend weniger feinen Ausgrabungsmethoden geborgenen Fundkomplexe können durch die neu im Schichtzusammenhang gehobenen Funde vom Steeger See in ihrer Zusammensetzung überprüft werden.
Nur ein Gefäß, eine sogenannte Ösenleistenflasche, zeugt von Einflüssen der Michelsberger Kultur, deren Hauptverbreitungsgebiet am Niederrhein, dem Rhein-Maingebiet und im mittleren Neckarraum zu finden ist.
Das Michelsberger Gefäß, leicht an seinem Rundboden und seiner Ösenleiste zu erkennen, gehört in eine jün-
gere Entwicklungsstufe innerhalb der Michelsberger Keramikentwicklung. Zu welcher „heimischen“ Kulturgruppe das Michelsberger Gefäß zu rechnen ist, kann nicht abschließend geklärt werden, da es keiner Kulturschicht zugewiesen werden kann. Das Schussenrieder Fundmaterial der Moorsiedlung Ehrenstein bei Ulm belegt zwar die Anwesenheit von Michelsberger Elementen innerhalb eines Schussenrieder Fundkomplexes, andererseits ist Michelberger Keramik in Stationen der Pfyn-Altheimer Gruppe Oberschwabens vorhanden, die in der Station im SteegerSee durch ein umfangreiches Inventar vertreten ist.
Der Pfyner Keramikkomplex mit Elementen der in Niederbayern ansässigen Altheimer Kultur ist das jüngste vorgeschichtliche Fundensemble vom Steeger See. Seine Verknüpfung mit dendrochronologisch ermittelten Daten um 3640 v. Chr. scheint wahrscheinlich zu sein. Die Datierungen der Feuchtbodensiedlungen von Reute bei Bad Waldsee und von Musbach um 3720 v. Chr. und 3700 v. Chr., die ebenso Fundmaterialien der Pfyn-Altheimer Gruppe lieferten, legen diesen Schluß nahe. Im Steeger See besitzen die Pfyn-Altheirner Funde neben der Schussenrieder Kultur den größten Anteil am Fundaufkommen. Die Entdeckung bei Aulendorf reiht sich dabei in eine Kette von Siedlungen der Pfyn-Altheimer Gruppe entlang der Schussen bis ins Federseebecken ein. Der kurze Überblick über das Fundmaterial vom Steeger See zeigt die Anwesenheit einer ganzen Reihe neolithischer Kulturen von der älteren Jungsteinzeit bis zur jüngeren Jungsteinzeit. Anhand der Kulturschichtablagerungen und der Gewichtung im Gesamtfundspektrum vom Steeger See kann zumindest von zwei Besiedlungen durch die Schussenrieder Kultur und die Pfyn-Altheimer Kulturgruppe ausgegangen werden. Die wenigen Scherben der Hinkelsteiner Gruppe belegen zunächst lediglich die Anwesenheit früherer Siedler und lassen aufgrund der geringen Fundmenge noch nicht unbedingt auf eine ganze Siedlung schließen.
Naturgemäß tauchen nach ersten Einblicken in eine unbekannte Ufersiedlung zunächst mehr Fragen auf als Antworten. So müssen die Ausdehnungen der verschiedenen Siedlungen, die Erhaltung ihrer Kulturschichten sowie das Verhältnis der einzelnen jungsteinzeitlichen Kulturen zueinander vor Ort erst detailliert abgeklärt werden. Probleme bringt auch die Lage innerhalb eines öffentlichen Freibades mit sich, welches sich im Sommer regen Besuches erfreut. Die Fragen, die der Steeger See in archäologischer Sicht aufgeworfen hat, werden in den nächsten Jahren in weiteren Unterwassersondagen abzuklären sein. Es bestehen berechtigte Hoffnungen, neue Erkenntnisse zur frühesten bäuerlichen Besiedlung Oberschwabens zu erhalten. Die Flußtalgeschichte der Schussen an ihrem Oberlauf könnte in neuem Lichte betrachtet werden. Neue Erkenntnisse zur Schussenrieder Kultur und ihrer inneren Gliederung sind ebenso zu erwarten. Last not least ist mit weiteren Erkenntnissen zur Pfyn-Altheimer Gruppe, deren Präsenz in Oberschwaben eben erst vor zehn Jahren offenkundig wurde, zu rechnen.
Die Probleme auf der denkmalpflegerischen Seite bestehen hauptsächlich im Schutz offenliegender Funde und Kulturschichten vor Badebetrieb und Erosion. Insbesondere die pflanzliche Konsistenz der Kulturschichten vermag durch moderne naturwissenschaftlich-archäologische Untersuchungen wichtige Beiträge zur Rekonstruktion der jungsteinzeitlichen Landschaft und Auskunft über Wirtschaft und Nahrungsgewohnheiten der damaligen Siedler zu geben. Der Schutz dieser hervorragenden Bodendenkmäler muß über die Jahre gewährleistet werden. Zu diesem Zwecke ist die fachkundige Abdeckung des fraglichen Areals in Zusammenarbeit mit dem Wasserwirtschaftsamt Ravensburg geplant.
Zum Schluß meines kleinen vorläufigen Berichts bedanke ich mich herzliehst für die Unterstützung, die derGrabungsmannschaft seitens der Stadt Aulendorf zuteil geworden ist. Für persönliche Hilfe bedanken wir uns beim Bademeister, Herrn Eiseie, den Herren Lerner und Hasenmaile sowie unseren Vermietern in Tiergarten.

 

 

 

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